Text von Evelyn Reiko de Smedt von Moku Onji - dem Tempel der Melodie der Stille inSt. Daunès, Frankreich (www.mokuonji.fr)
Shikantaza: „Sich einfach nur hinsetzen, das Gesicht zur Wand, sich vollständig geben“
Zazen: Die Praxis des Buddha-Weges ist das Zusammentreffen der Lebewesen im unbeschränkten Geist, der immer existiert, der die Quelle des wahren Glücks und der Harmonie zwischen allen Lebewesen und dem ganzen Kosmos ist.
Die Zeit: „Die Sutras berichten, dass Buddha Shâkyamuni immer in vollem Bewusstsein lebte. Der Buddha führte ein erwachtes Leben, immer im jeweiligen Augenblick bleibend, in einer entspannten, aber entschlossenen Art und Weise. Das wirkliche Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Der Rest sind nur Erinnerungen und Hirngespinste. Im gewöhnlichen Leben denkt die Mehrzahl der Menschen ohne Unterlass an die Vergangenheit oder die Zukunft. und so wird das Leben nie vollständig gelebt. Meister Deshimaru sagte oft: „Jeder Augenblick des Lebens kann als ein Punkt betrachtet werden und die Aneinanderreihung der Punkte bildet eine Linie. Je mehr man sich auf jeden einzelnen Punkt konzentriert, umso tiefer wird die Linie des Lebens.“ Also, hängt nicht in der Vergangenheit herum und richtet euch auf die Zukunft aus. Seid ganz einfach präsent, in Einheit mit eurer Haltung und eurer Atmung. Nur der gegenwärtige Augenblick ist wirklich; die Vergangenheit ist es nicht mehr und die Zukunft ist es noch nicht. Zurückkommen auf den jetzigen Augenblick, das bedeutet zum wirklichen Leben zurückkehren. Um die Zukunft zu bestehen, muss man ganz im gegenwärtigen Moment leben, Augenblick für Augenblick. Ganz so, wie der gegenwärtige Moment durch die Vergangenheit beeinflusst wird, wird auch die Zukunft durch den gegenwärtigen Moment bestimmt. Das ,Hier‘ mag wiederkommen, aber das ,Jetzt‘ kommt niemals zurück. ,Jetzt‘, das ist der gegenwärtige Augenblick in einem Kosmos, der sich ständig wandelt.
Hishiryô: Hishiryô, ist das Bewusstsein während Zazen, das ganz natürlich aus der richtigen Haltung und der tiefen Atmung entspringt. Das Bewusstsein, das bei nichts stehenbleibt, was immer es auch sei. Die Rückkehr zum normalen Zustand von Körper und Geist, wenn die Neuronen unseres Gehirns dieselbe Schwingung empfangen wie das Universum: das ist der Zustand der Erleuchtung aller Buddhas und aller Patriarchen der Weitergabe der Lehre, das Satori, das lebendige Nirvana. In Sanskrit bedeutet Nirvana das Aufhören, die Beendigung. Es gibt keinen Wind mehr, um die Brise zu nähren. Das ist ein Zustand des Friedens, der Ruhe, wenn der Mensch aufhört, seinen verrückten Gedanken, seinen Begehrlichkeiten, Emotionen, Gefühlen, Illusionen zu folgen. Der Mensch des Nirvana ist ein offenes, freies, befreites Lebewesen. In einem Sutra benutzt der Buddha, als er von Nirvana sprechen will, das Wort ,absolut‘. Und er sagt: „Das Absolute ist die Auslöschung all unseres Gedanklichen, all unserer Illusionen.“ Und sobald en Mensch des Nirvana eine Gefühlsregung erfährt, weiss er, dass sie unbeständig ist. Und er bindet sich nicht an sie. Er empfindet nichts mit Leidenschaft. Er empfängt, er empfindet, ohne sich anzuhaften, denn er weiß, dass die Empfindungen sich mit der Auflösung des Körpers beruhigen werden. So, wie die Flamme einer Lampe erlischt, wenn das Öl und der Docht zu Ende sind. „Folglich“, sagt der Buddha, „ besitzt eine so ausgestattete Person das wahre Wissen und die Erfahrung der endgültigen Beendigung des Leidens ist die edle, absolute Weisheit.“
Der Weg: „...Oft denkt man, dass man praktizieren muss, um die Verwirklichung des Weges zu erlangen. Das Ego, das ergreifen will, denkt immer so. Es stellt sich den Weg wie eine Leiter vor. Aber der Weg Buddhas ist in keinster Weise so.
Von Zazen ausgehend, kann jede unserer Handlungen den Weg ausdrücken. Die Praxis der richtigen Geste, wenn ihr sanpai, gasshô macht, wenn ihr euch im Dojo bewegt. Und dieselbe Praxis, angewandt auf das ganze Leben, drückt unser Sein in seinem ganzen Umfang aus: unser persönliches, aber auch unser universelles Sein, die Buddha-Natur, den ursprünglichen Geist, den Geist Buddhas. Jede unserer Handlungen kann den Weg ausdrücken, den Weg der Wahrheit, den Weg, auf dem man sich ganz unbewusst mit der Wahrheit, die das ganze Universum durchdringt, harmonisieren kann. Der Buddha-Weg existiert weder vor, noch nachdem man ihn verwirklicht hat. Man kann keine Spuren von ihm verfolgen, noch kann man ihn sich vorstellen; denn man verwirklicht ihn nur, indem man alle Absicht und alle unser mentalen Verstrickungen aufgibt ... Der beste Ausdruck des Weges besteht in der Praxis selbst, der Praxis mit dem Körper. Eines Tages fragte ein Schüler Meister Hyakujô: „Was bedeutet es das Verwirklichbare nicht zu verwirklichen, und das Unverwirklichbare zu verwirklichen?“ Hyakujô antwortete: „Das Verwirklichbare nicht verwirklicht bedeutet die Worte, die nicht durch Handlungen gestützt sind und das Unverwirklichbare verwirklicht, das sind die Handlungen, die verwirklichen, was die Worte nicht erreichen können.“ Und diese äußerste Handlung, das ist Zazen, die Handlung, in der sich die ganze Unterweisung gleichzeitig verwirklicht und weitergegeben findet.“
Das Mitgefühl: Das ist die wahre Liebe, die erhabenste Liebe. Das wahre Mitgefühl bewirkt, dass man eine Einheit mit dem Geist des Anderen wird. Das Glück des Anderen wird zu unserem Glück und umgekehrt. So ist der Geist des Bodhisattvas, der in Harmonie mit allen lebt. Er drängt sich nicht auf, aber innerlich zeigt er Bestimmtheit und Beharrlichkeit. Ohne diese innere Kraft bringt das Mitgefühl keine wirkliche Hilfe. Das Mitgefühl ohne Weisheit ist schwach, die Weisheit ohne Mitgefühl ist gefährlich. Jihi, das Mitgefühl ist die am höchsten entwickelte Stufe der Liebe. Um den Anderen wirklich helfen zu können, muss man diese Weisheit, diese Hellsichtigkeit besitzen. Und die Form kann viele Aspekte zeigen. Es gibt keine Methode. Es liegt an jedem selbst seine Intuition zu entwickeln. Versuchen sich, dem Anderen zu öffnen und zu empfangen. Es dann so einrichten, dass es sich selbst verstärkt. Jeder muss diesen Weg selbst gehen. Man kann ihm die Richtung zeigen, aber man kann nicht an seiner Stelle den Weg des Erwachens gehen.
Der Spiegel: „Man vergleicht oft Zazen mit einem Spiegel, auf dem sich alle Erscheinungen unseres Geistes, unsere Gedanken, Gefühle, Emotionen, Erinnerungen, Wünsche, alle unsere Illusionen widerspiegeln. Aber wenn die Haltung richtig ist und die Atmung tief, löst sich alles was erscheint auf und verwandelt sich in reines Licht. Bonno soku bodai : Die Illusionen werden das Erwachen. Zazen ist vergleichbar mit dem weiten, unbegrenzten Ozean, alles endet mit der Rückkehr dorthin, alles kehrt zur Leerheit zurück, die der Ursprung und das Ende unseres Lebens ist. Wenn Zazen die Quelle unserer Handlungen wird, unserer Sprache und unserer Gedanken, bedeutet das, sich aus der Unbeweglichkeit heraus zu bewegen, aus der Stille heraus sprechen, aus dem Innersten des Nicht-Denkens denken. So kehrt jedes Ding an seinen rechten Platz im gesamten Universum zurück, natürlich, automatisch und unbewusst. Wenn man in Opposition zur Situation des gegenwärtigen Augenblicks ist, erfährt man Schwierigkeiten. Dann ist man vom beschränkten Geist gelenkt, dem geraden Geist. Man befindet sich immer in Opposition von irgend etwas und alle möglichen Arten von Konflikten werden auftauchen. Wenn man aber dem Geist des Zazen folgt, umarmt unser Bewusstsein alles, schließt alles ein. Es gibt nichts mehr, was sich außerhalb befindet. Auf diese Weise, hat der Ozean des kai in zanmai das Verdienst klar bis auf den Grund zu sein und in diesem Ozean zu schwimmen und zu praktizieren, bedeutet bis zum Allerinnersten zu gehen. Wenn wir ganz tief in Zazen eintauchen, wenn man sich wirklich der Haltung und der tiefen Ausatmung hingibt, gibt es keine Trennung mehr zwischen Grund und Oberfläche, der Welt der Phänomene, die sich in unserem Geist widerspiegeln und dem Grund, der Essenz unseres Lebens. Die widergespiegelten Phänomene kehren zur Leere zurück: bonno soko bodai. Sich selbst beobachten heißt, sich selbst vollkommen vergessen. Das heißt, nicht nur die dunklen und lichten Aspekte unserer Persönlichkeit beobachten, sondern in den Bereich eindringen, wo es keinen Unterschied mehr zwischen Innen und Außen gibt, zwischen sich selbst und den Anderen, sich selbst und dem ganzen Universum. Die eigentliche Natur unserer Existenz, das Innerste von uns selbst, ist nicht verschieden vom Leben des ganzen Kosmos.
Meister Keizan sagte: „Der klare Ozean hat weder eine Vorderseite noch eine Rückseite, Der weite Himmel hat weder eine Innenseite noch eine Außenseite. Wenn unser Geist wie ein Kristall wird, klar, natürlich leuchtend, so, wie bevor Leere und Form getrennt waren, wie könnte da das kleinste Objekt existieren?“
Der Geist des Zazen ist wie dieser klare Ozean, durchscheinend, von keinem Ufer begrenzt. Wenn man in diesem reinen Ozean schwimmt, wird die Praxis selbst jenseits von jedem Objekt und jeder Begrenzung.
Das Erwachen: „... Erwachen heißt nicht, zu irgend etwas Besonderem zu erwachen, sondern einfach ganz tief unsere Einheit mit dem ganzen Kosmos zu realisieren, ohne Schranken, ohne Gegensätze, funi, nicht-zwei. Unser Leben entstammt dem Kosmos, unser Tod kann uns nicht davon trennen, es gibt keinen Ort an dem wir dem entkommen. Manchmal verirrt man sich und man lebt, als wenn man ein einzelnes, getrenntes Lebewesen wäre, von allem abgeschnitten, was uns umgibt. So erscheinen alle Arten von Leiden, von Frustrationen, weil man den Kontakt mit der Realität verloren hat. Zazen praktizieren bedeutet, in einem Augenblick die Distanz, die uns von allem was uns umgibt, zu überschreiten. Darum sagte Kodo Sawaki auch:
„Zum Dharma-Körper erwachen, heißt das Leben ergreifen und fest die Füße auf den Boden stellen, ein menschliches Wesen werden verwurzelt im ganzen Universum.“
Der Geist des Erwachens: „... Alle fühlenden Wesen haben die Buddha-Natur. Gleichwohl kann sie nicht vollständig realisiert werden, wenn sie nicht verwirklicht ist. Man kann sagen, so wie das Kind den Bauch der Mutter braucht, um ernährt zu werden, so kann man durch Zazen unsere wahre Natur realisieren und aktualisieren. Aber dazu muss man in sich den Geist des Erwachens entwickeln: bodaishin, der seine Quelle in dem Bewusstsein der Unbeständigkeit hat, der Vergänglichkeit aller Objekte denen wir anhaften und unseres eigenen Egos. So lange man dem Ich, dem 'mir' verhaftet bleibt, kann sich der Geist des Erwachens nicht entwickeln. Wenn man dagegen realisiert, dass alles was existiert mit allem in wechselseitiger Abhängigkeit verbunden ist, kann man nicht mehr indifferent gegenüber dem Leiden der Anderen bleiben. Ausgehend von seinem eigenen Erwachen den Lebewesen helfen, sie von ihrem Leiden zu befreien, das ist das Gelöbnis des Bodhisattvas. Wenn man seinen eigenen Geist zu klären weiß, nicht mehr der Gefangene seiner eigenen Illusionen ist, das erlaubt ein freies Lebewesen zu werden, ein wahres menschliches Wesen. „Der Geist des Erwachens“ sagt Dôgen, „und alle Dinge existieren zusammen in Verbindung mit der Kausalität. Wenn wir diesen Geist verwirklichen, sei es auch nur für einen Augenblick, tragen alle Dinge zu seiner Entwicklung bei.“ Das bedeutet, dass alle Lebewesen, alle, mit denen wir in Berührung kommen, durch unseren reinen Geist beeinflusst werden, durch unsere Art zu sein und von unserer Seite werden wir von allem was uns umgibt ebenso verändert. Dôgen fügt hinzu: „Im Allgemeinen beruhen die Erweckung des Geistes und die Verwirklichung der Wahrheit auf dem augenblicklichen Entstehen und Vergehen aller Dinge.“ Das bedeutet, dass man nicht ständig im gleichen Geist bleiben kann. In einem Augenblick kann man Buddha werden, im nächsten ein Dämon oder ein gewöhnliches Lebewesen. Die Unbeständigkeit ist die Grundlage des ganzen Universums, aber im allgemeinen lieben wir die Stabilität, das ist unserem Ego eigen. Und doch, wenn alles sich nicht ohne Unterlass ändern würde, wären wir vollständige Gefangene unseres eigenen Karmas. In jedem Augenblick hat jeder die Freiheit, dieses Angebundensein an die Ursache-Wirkungs-Kette zu durchbrechen. Ausgehend von der Erfahrung des Zazen, durch die Hingabe an die tiefe Atmung und an das hishiryô-Bewusstsein, so wie die Blume ganz natürlich unter der Frühlingssonne erblüht, wird man unbewusst, natürlich ein authentischer Weiser, ein Buddha.
Unsui: „Wenn unser Körper-Geist der kosmischen Ordnung folgt, ist er immer in Harmonie mit dem Erscheinen und Verschwinden der Elemente, ohne sie zu erhalten oder sich einzuverleiben zu versuchen, was immer es auch sei. Das ist die Erfahrung des Zazen, shikantaza, sich einfach hinsetzen und die Wirklichkeit so nehmen, wie sie ist, seinen Panzer aufgeben, den imaginären Körper. Das bedeutet es, ein wahrer Mönch oder eine wahre Nonne zu werden, ein freies Lebewesen, das die Anhaftungen durchtrennt hat, leicht, wie eine weiße Wolke, frisch, wie lebendiges Wasser, unsui, auf japanisch Wolke und Wasser, oder auch sukke, sein Haus verlassen und voller Vertrauen der kosmischen Ordnung folgen.“
(Übersetzung aus dem Französischen von Volker Becker)